Die Wilderer


Dr. Roland Girtler

Die Wildschützen, alte Rebellen, Bergsteiger und Helden der kleinen Leute von Roland Girtler

Der klassische Wilderer, den es bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts und in Relikten bis heute in Gebirgsgegenden Österreichs und Bayerns gab bzw. gibt, hat eine alte Geschichte. Der Wilderer oder Wildschütz war so etwas wie ein Rebell, der sich gegen die adeligen Herrschaften auflehnte, denn diese hatten den Bauern das Recht zur Jagd genommen.

Der Wilderer, der dem noblen Jagdherrn die Gams oder den Hirsch wegschoss, berief sich stolz auf altes Recht, nach dem auch der Bauer das Recht zur Jagd gehabt hatte. Die Bauern taten dies aus gutem Grund, denn nach altem germanischem Recht hatte jeder freie Bauer das Recht zur Jagd. Aber als die Bauern ab 1000 n. immer mehr in Abhängigkeit von Landesherrn und Königen gerieten, wurde es ihnen verboten zu jagen und sogar den Wald zu betreten. Die Jagd wurde zu einer Sache des Aristokraten.

Es ist festzuhalten, dass das waidmännische Jagen auf die Wildschützen zurückgeht. Sie mussten so schießen, dass das Wild im Feuer fällt, also sofort tot ist. Einen zweiten Schuss konnte er sich nicht leisten, da so die Gefahr bestand, bei seinem Tun erwischt zu werden. Die Aristokraten dagegen führten regelmäßige Treibjagden durch, bei denen das Wild keine Chance hatte und oft nur angeschossen wurde. Der in Sarajewo 1914 erschossene Thronfolger Franz Ferdinand soll innerhalb seines Lebens weit über 200.000 Stück Wild geschossen haben.

Die Bauernburschen, die zum Ärger der noblen Herren auf verbotene Weise das Wild schossen, waren bei der Bevölkerung angesehen, vor allem bei den Bauern im Gebirge, die unter dem Wildschaden besonders zu leiden hatten und deren Armut und Hunger nach einem Stück Wild groß war.

Der Wilderer zeigt sich somit als “sozialer Rebell”, wie er typisch in all den bäuerlichen Kulturen ist, in denen Landes- bzw. Grundherrn auf dem Rücken einer armen oder verarmten breiten Bevölkerung ein Leben in Verschwendung und Übermut führen konnten.

Peter Rosegger bezeichnet die echten Wildschützen sogar einmal als Freiherrn der Berge. Damit wollte er ausdrücken, dass die Bauernburschen, die in den hohen vor allem der Gams nachstellten, so etwas wie einen natürlichen Adel hatten.

Besonders in der Gestalt des Wilderers erwuchs im Gebirge eine Heldenfigur, die bis in die letzte Zeit mystifiziert und romantisiert wurde und weiter wird. Er wird als jemand gesehen, der sich das Recht holt, welches die hohen Herren dem “kleinen Mann genommen haben.

Die Adeligen sahen schon sehr früh in den Wilderern ihre Feinde, die ihnen ihr Jagdvergnügen nehmen wollten. Zur Jagd als einem Symbol vornehmer Lebensart wollte man den Bauern nicht zulassen und bestrafte ihn daher grausam, wenn er als Wilderer erwischt wurde.

In den Bauernkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts lehnten sich die Bauern gegen ihre Unterdrücker auf und verlangten unter anderem das freie Recht der Jagd. Doch sie hatten keinen Erfolg.

So befahl 1665 in Salzburg Kardinal Erzbischof Guidobald Graf von Thun, Wilddiebe gefangen zu nehmen und sie dann nach Venedig auf die Galeeren zu schicken.

Trotz solcher strengen Strafen gelang es den aristokratischen Jagdherrn nicht, die Bauern und andere kleine Leute, vor allem im Gebirge, vom Wildern abzubringen.

Erst nach der Revolution von 1848 kam es zur “Bauernbefreiung, das aristokratische Jagdprivileg wurde abgeschafft. Dies war jedoch nur theoretisch so, denn die kleinen Bauern im Gebirge mussten den alten Grundherren einen bestimmten Betrag zahlen, den sie nicht aufbringen konnten. Die Bauern verschuldeten sich, konnten aber die Schulden nicht zahlen. Es kam zur Versteigerung von Bauerngütern. Reiche Adelige und Industrielle kauften ganze Gebiete auf. Die arme Gebirgsbevölkerung, bestehend aus Kleinbauern, Holzfällern und anderen kleinen Leuten, sah sich nun weiter gerechtfertigt, dem feinen Jagdherrn vor allem die Gams “vor der Nase” wegzuschießen.

Als soziale Rebellen waren die Wilderer für die Menschen im Gebirge keine Verbrecher, sondern kühne Burschen, die sich das Recht zur Jagd erkämpften.

Eine besondere Anziehung für die Wildschützen hatte die Gams, da sie sich fernab der Siedlungen in felsigen und schwer zugänglichen Regionen aufhält. Der Gamsjäger musste ein guter Bergsteiger sein, um überhaupt in die Nähe der Gams zu gelangen, und man benötigt Kraft, um das erlegte Tier zu Tale zu tragen.

Ein in Ehren ergrauter Wilderer meinte zu mir, ihn habe nur die Gams interessiert, denn um einen Gamsbock zu erlegen, brauche man Kraft und “Schneid”.

Der Gamswilderer hatte den Ruf des verwegenen Burschen, der sich mit einigem Stolz über die Verbote des Jagdherrn hinwegsetzt.

Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg galt das Wildern als Beweis für Mut und Liebe zum Abenteuer. Konnte der junge Bursche darauf verweisen, ein guter Wildschütz zu sein, so konnte er mit der Hochachtung der anderen jungen Burschen rechnen.

Der Wildschütz galt etwas bei den Mädchen. Darauf verweist farbig ein Spruch aus dem Salzkammergut: “Ein Bua, der nicht gewildert hat, darf auch nicht fensterln gehen.

Ähnlich heißt es auch in einer Schrift aus dem Jahre 1915: “Im Ennstal ist den Bauernburschen eine Art ritterlicher Sinn eigen, der sich im Wildschützenleben ausprägt; derjenige Bursch, der der kühnste Wilderer ist, gilt in der Bevölkerung als eine Art Heros. Der Bursch, der mit einer bockledernen Hose zur Kirche geht, gilt in den Augen der Bauernmädchen nichts; eine gamslederne (!) Hose muss er haben. Denn einen Burschen, der sich vor den Jägern fürchtet und sich nicht traut, ein Gamserl (!) zu schießen, den mag ein Dirndl nicht. Ein solcher Bursch bekommt höchstens ein Mädchen, das die Wilddiebe nicht mögen”.

Die echten Wildschütze hatten auch einen Ehrenkodex, nach diesem war es zum Beispiel verpönt, Schlingen zu legen, durch die das Wild elendiglich umkommt, oder einem Kitz die Muttergams wegzuschießen.

Den unwaidmännischen Wildschütz bezeichnete man auch als “Raubschützen”, überhaupt wenn er sich auf einen Kampf mit dem Jäger einließ.

Der echte Wildschütz, der der Gams nachstellte, musste ein guter Bergsteiger sein.

In Liedern werden die ehrbaren Wildschützen besungen. Die Gams steht dabei im Mittelpunkt, wie in diesem gern gesungenen Wildschützenlied aus dem Salzkammergut:

An einem Sonntagmorgen recht zeitig in der Fruah, nimmt der Wildschütz sein Stutzerl, und geht dem Gamsgebirg zua. Er woass ja die Weg so schön, wo die schen’ Gamserl (!) stehn, drin im Gebirg.

Und a Gamsal (!) hat er g’schossen, hoch droben auf der Hoad, jetzt will er’s auswoaden, ziagt’s Messer aus der Schoad. Der Jaga hat eahm lang zuag’schaut, Hat si net zuwi traut, bis da er schlaft.

Und der Wildschütz hat g’schlafen, dann hat er si traut, er nimmt dem Wildschütz sei Stutzerl, hat sakrisch zuag’haut. Der Wildschütz springt auf vom Schlaf, stürzt über’n Fels in a G’struch.

Und den Jaga druckt’s G’wissen und dem Wildschütz sein Bluat, und jetzt mecht er gern wissen, was der Wildschütz drunt tuat: “Aber Jaga, liabsta Jaga mein, bind ma meine Wund’n ein und still mir’s Bluat.

Und der Jaga bind eahm d’Wund’n ein und stillt eahms Bluat: “Aber jetzt muaßt mit mir gehn, ins Salzkammerguat! “Bevor i mit an Jaga geh’, lass i mei Leib und Seel fürs Salzkammerguat!

Als bäuerlicher Rebell, der sich auf altes Recht beruft und für das Volk gegen die Obrigkeit auftritt, genießt der Wilderer die Verehrung des Volkes. Das Wildern wurde gerade in Gebirgsgegenden zum Mannbarkeitsritual; erst durch verwegenes Wildern erwarb der Bursch im Dorf Anerkennung bei den Männern, außer bei den Jägern. Die Fenster der Mendscherkammern (Mendscher=Mädchen) und die Türen der Almhütten, in denen Sennerinnen sich zur Ruhe legten, standen ihm offen.

Die alten Wildschützen waren als “Helden der kleinen Leute echte Rebellen. Wenn sie als junge Burschen im Kampf mit dem Jäger erschossen wurden, blieben sie ewig jung und wurden oft Gegenstand mythischer Verehrung. Leider kam es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen, bei denen Jäger und Förster hinterlistig ermordet wurden. Damit wollte aber ein ehrbarer Wildschütz nichts zu tun haben.

Im Wilderer-Museum zu St.Pankraz beim Gasthof Steyrerbrücke wird diese Kultur in ihrer ganzen Buntheit dargestellt. Auch die Geschichten von beim Wildern getöteten Wildschützen, wie die von Georg Jennerwein und die von Pius Walder, werden hier dargestellt.

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